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Privater Reichtum, öffentliche Armut: bröckelndes Gymnasium am Starnberger See

Der Landkreis Starnberg wird in allen Statistiken als der reichste in ganz Deutschland aufgeführt. Im Norden München, im Süden  die Alpen und dazwischen der See - ein grandioser Anziehungspunkt ganz besonders für wohlhabende Menschen. Die Gemeinde Tutzing ist ein Teil des Landkreises, mit Bahnhof an der Bahnstrecke von München nach Garmisch-Partenkirchen sowie weiter nach Innsbruck und  außerdem Endpunkt der S-Bahn-Linie 6. Fünf Schulen beherbergt der Ort, darunter das Gymnasium, zu dessen Gebäude unter anderem eine denkmalgeschützte Villa direkt am Starnberger See gehört.

Für die Leserinnen unseres Blogs wenig überraschend: Das Haus auf dem malerischen Anwesen sieht ziemlich ramponiert aus. Der Putz fällt von der Fassade, der Balkon muss gestützt werden. Wenn es draußen regnet, wird es außerdem in der Turnhalle nass. Im Neubau des Ensembles fielen schon Fenster aus dem Rahmen.

Wie kann das sein? In einer so wohlhabenden Region?

Das hat auch mit dem  staatlichen Einnahmen-System in Deutschland zu tun: Die Steuern mit den höchsten Aufkommen (Umsatzsteuer & Einkommensteuer) teilen sich fast ausschließlich der Bund und die Länder. Das führte schon zu Ende des letzten Jahrhunderts zu ersten Reformen: Die Gemeinden wurden seit 1998 mit 2,2% am Aufkommen der Umsatzsteuer und schon seit 1970 mit (aktuell) 15 % an der Einkommensteuer beteiligt. Hinzu kommt ein System von Zuweisungen an die Gemeinden im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs, der in Hoheit des jeweiligen Bundeslandes geschieht. Die wichtigste Einnahmequelle und  eigene Steuer der Kommunen blieb aber nach wie vor die Gewerbesteuer. Hier steht Tutzing im Vergleich mit den anderen Gemeinden des Landkreises schlechter da.

Eine plausible Erklärung ist das dennoch nicht. "90 Prozent der Sanierungskosten würden vom Landkreis getragen", sagt Matthias Balz. Der Vater dreier Kinder, die alle am Gymnasium Tutzing Abitur gemacht haben, ist wütend: Auf die seiner Ansicht nach überforderte Gemeinde, auf die Rangeleien zwischen den Parteien und auf die Eifersüchteleien der lokalen Politik, die einer Lösung im Wege stehen.

Durchgesetzt haben sich zunächst die Befürworter eines neuen Gymnasiums in Herrsching. 2008 gab es einen Beschluss des Kreises, fast genauso lange informiert eine Initiative auf der Seite www.gymnasium-herrsching.de über ihre Lobbyarbeit. Avisiert ist laut dem neuesten Eintrag 2020 als Start der neuen Schule.

12 Jahre Reden für eine neue Schule, deren Notwendigkeit niemand bestreitet. Wie lange muss man im Kreis Starnberg für die Sanierung eines bestehenden Gymnasiums argumentieren?

 

1951 wurde das Gymnasium Tutzing ursprünglich als Mädchengymnasium gegründet. Der erste Direktor Dr. Salomon wurde mit der Tutzinger Ehrenbürgerwürde ausgezeichnet. Die Schule wuchs und wuchs (bis 2012), 1996 wurde ein umfassender Neubau dem am See gelegenen Areal hinzugefügt und so ein Jahre langes Improvisieren beendet. Das Gymnasium erhielt zukunftsweisend einen Wirtschaftszweig, der von den Schülern begeistert angenommen wurde und wird – aber Finanzierungsprobleme begleiten den Schulbetrieb des in gemeindlicher (Tutzing) Hoheit befindlichen Gymnasiums kontinuierlich und immer wieder bestimmen so auch negative Schlagzeilen das Schulleben im Wohlfühl-Landkreis am Starnberger See.

So war in der Zeit nach dem offiziellen Neubaubezug 1997 zum Beispiel der Zustand der Toiletten ein heiß diskutiertes Ärgernis. Durch die klammen Finanzen des Schuleigners, der stolzen Gemeinde Tutzing, waren und sind laufende Schwierigkeiten im Schulbetrieb mehr oder weniger vorprogrammiert, sie wurden seit geraumer Zeit zum Kennzeichnen des Gymnasiums. Ein Eigentümerwechsel auf den Landkreis Starnberg wurde andererseits von den Orts-Granden immer wieder vehement als No-Go-Lösung grundsätzlich abgelehnt.

Bis Ende 2014 war die Terrasse der Kalle-Villa ein Ort, an dem die Schüler des Gymnasiums feierlich empfangen und auch verabschiedet wurden. Auf diesem Bild: die Abiturienten des Jahrgangs 2008.

Nachdem die Bayerische Staatsregierung und das Landratsamt Starnberg auf Begehren vieler Eltern des Raumes um die westliche Landkreisgemeinde Herrsching (Ammersee) 2016 endgültig ein Gymnasium Herrsching (beabsichtigter Beginn des Schulbetrieb ab Schuljahr 2020/21) beschlossen haben, droht nunmehr der Wegfall eines bisher wichtigen Teiles des Schülereinzug-Gebietes für das Gymnasium Tutzing mit entsprechenden finanziellen Konsequenzen.

Die Kalle-Villa heute: seit 2 Jahren ist die Terrasse gesperrt.

Die Folge: Potenzierung der Finanzkalamität für das Gymnasium Tutzing, das 2021 seinen 70-jährigen Geburtstag feierlich begehen möchte. Die denkmalgeschützte Kalle-Villa verfällt, Balkon und Terrasse – früher - vor 2015 - Ort feierlicher Abiturienten-Verabschiedungen sowie Begrüßung der neu eintretenden Fünft-Klässler – sind seit nunmehr mehr als zwei Jahren baupolizeilich gesperrt und mit rot-weiß-gestreiften Sperrzaunelementen für das Betreten durch die Schüler vom Hof aus open end abgetrennt.

Rollos der Turnhalle

In Sachen der 1967 errichteten Turnhalle sieht es kaum besser aus: Regnet es stark, steht das Wasser in der Halle, notdürftig soll dies derzeit provisorisch mit Hilfe einer Plane verhindert werden. Seit Jahren sind überdies auch die Rollos der Turnhalle kaputt.

Einsturzgefahr: Der marode Balkon von der Denkmal geschützten Kalle-Villa am Gymnasium Tutzing (Starnberger See) muss abgesichert werden.

Kurz nach dem Eintreten der Einsturzgefahren im Bereich der Kalle-Villa sind im 1997 feierlich eröffneten Neubau gar auf einem der langgezogenen (barrierefreien) Flure große Teile des Putzes von der Wand gefallen. Pures Glück war dabei, dass keiner der etwas weniger als 1 000 Schüler sich auf dem Flur aufhielt, als es passierte. In den folgenden Pausen stellten sich pragmatisch Lehrer schützend vor die Wand, die auf dem Weg zum Schulkiosk liegt, wo die Schüler in den Pausen sich verpflegen können. Über drei Etagen erstreckte sich der Bröckelputz. Eine eilig herbeigerufene Baufirma musste dann die gesamte Wand abtragen.

Weiters fielen Fenster im Südbau aus den Rahmen: 2015 ist in einem der Klassenzimmer ein Fenster aus dem Rahmen gefallen, ein zweites war nur noch von den Bügeln gehalten worden. Ursache sei vermutlich die große Hitze gewesen: Die Fenster seien ständig auf und zu gemacht worden. Die Klasse musste aus Sicherheitsgründen ausgelagert werden.

Es kann niemand bezweifeln, die Gemeinde Tutzing als Sachaufwandsträger ist finanziell und auch, was die Manpower hierfür betrifft, mit dem ordnungsgemäßen Schulbetrieb des Gymnasium Tutzing schlicht und ergreifend überfordert. Hinzu kommen die schon bereits lange andauernden Rangeleien zwischen der Kommune Tutzing einerseits und dem Landkreis Starnberg andererseits, die somit eine gewisse Tradition haben bzw. als eine endlose Geschichte gekennzeichnet werden können und sich nun wegen des neuen Gymnasiums Herrsching noch weiter ausweiten. Für ein Aufschieben der Instandsetzung der Denkmal geschützten Kalle-Villa gibt es dabei keinerlei in der Sache begründbare Kriterien: Sie dient als Sitz des Direktorates und der Verwaltung des Gymnasiums sowie zur Beherbergung des Lehrerzimmers, also alles Funktionsräume, die gänzlich unabhängig von der für die Zukunft absehbaren oder tatsächlichen Zahl von Schülern benötigt werden. Die Außenfassade nebst Balkon bzw. Terrasse bildet einen Teil des repräsentativen Ambientes, sie dient somit insbesondere zur Athmosphären- plus Imagebildung der Schule.

Matthias Balz

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