web analytics
Springe zum Inhalt

„Bildung für alle“ gelingt nur in bedarfsgerechten Räumen

"Benachteiligung in der Bildung beginnt damit, dass Kinder und Jugendliche in maroden Schulen lernen müssen – und ganz besonders, wenn einigen von Ihnen aufgrund von räumlichen Barrieren der Zugang verwehrt bleibt", sagt Gisela Braun vom Bundesnetzwerk "Schule für alle".

Unsere derzeit laufende Umfrage bestätigt einen Zusammenhang zwischen dem Zustand des Schulgebäudes und der Barrierefreiheit: marode Schulen sind in der Regel für Rollstuhlfahrer nicht geeignet, für differenzierte Lernangebote schon gar nicht. Kaputte Schulen sind nicht inklusiv.

Was hier zu tun wäre, erklärt eine Schulleiterin aus Hessen, Mitstreiterin der Initiative. Vor allem Neubauten und Grundsanierungen sieht sie als Chance, Schulräume der inklusiven Ganztagsschule neu zu denken - zum Beispiel: Veranstaltungen, Schulgarten, außerschulische Lernorte, Rückzugsbereiche, Spielräume, Ruhezonen, reizarme Räume, Bewegungsangebote, Erkundungsorte, Therapieräume, Räume für Pflege...
Neues Lernen in neuen Räumen!

„Bildung für alle“ gelingt nur in bedarfsgerechten  Räumen

Gisela Braun

Als Koordinatorin des Bundesnetzwerkes „Schule für alle“ unterstütze ich diese Aktion, die im Sinne unseres gemeinsamen Zieles ist, Bildung für alle in einer „Schule für alle“ zu erreichen.

Das Bundesnetzwerk ist ein Zusammenschluss aus engagierten Personen aus allen gesellschaftlichen Bereichen. Die Beteiligten kommen aus dem Bildungssystem, aus der Jugendsozialarbeit sowie aus der Zivilgesellschaft. Gemeinsam setzen wir uns für ein Bildungssystem ein, in welchem Chancengleichheit in einer „Schule für alle“ erreicht werden soll.

Zusammen haben wir zehn Mindestkriterien zur Organisation einer inklusiven Schule/Schulgemeinde aufgestellt. Angemessene Räume sind eines davon. Als eines der Kriterien haben wir formuliert: „Räumliche, sächliche und personelle Ressourcen müssen bedarfsgerecht gewährleistet sein.“

Gerechte Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen sind ein Menschen- und ein Kinderrecht. Im § 28 der UN-Kinderrechtskonvention haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, zur Verwirklichung dieses Rechts Maßnahmen zu treffen, „die den regelmäßigen Schulbesuch fördern und den Anteil derjenigen, welche die Schule vorzeitig verlassen, verringern“.

Benachteiligung in der Bildung beginnt damit, dass Kinder und Jugendliche in maroden Schulen lernen müssen – und ganz besonders, wenn einigen von Ihnen aufgrund von räumlichen Barrieren der Zugang verwehrt bleibt. Eine kind- und bedarfsgerechte Schulumgebung bedeutet daher nicht nur Wertschätzung für alle Schüler/-innen, sondern der Lebensraum Schule muss allen unabhängig von ihrer sozialen Lebenslage ein gemeinsames Lernen in einem positiven Lernklima ermöglichen.

Eine gute Bildung für alle kann nur eingelöst werden, wenn angemessene Lernbedingungen geschaffen werden. Die Schule ist ein Lern- und Lebensort, in der sich die Schüler/-innen wohlfühlen müssen. Nur so können sie ihre Fähigkeiten ausbilden, die nicht nur durch formales, sondern auch  durch non-formales und informelles Lernen gefördert werden. Eine unter Beteiligung der Schüler/-innen gestaltete Schulumgebung ist Voraussetzung dafür.

Gisela Braun, Projektleiterin „Schule für alle“
IN VIA Katholischer Verband für Mädchen- und Frauensozialarbeit Deutschland e. V.

 

Welche räumlichen Voraussetzungen braucht eine „Schule für alle“?

Zur Situation der Schulgebäude:

Aktuell findet man unter den Schulgebäuden alle geschichtlichen Epochen mit ihren mehr oder weniger ausgeprägten pädagogischen Gestaltungskonzepten.

Schulgebäude, die im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden sind, weisen nicht selten bauliche Elemente auf, die unter kunsthistorischen und denkmalschützerischen Aspekten erhaltenswert sind. Sie stehen aber den heutigen Erfordernissen an eine gute pädagogische Raumgestaltung entgegen. Die Aufteilung der Klassenräume entlang von endlosen Gängen lässt keine Flexibilität in der Raumgestaltung zu. Eine Aufteilung, Abteilung, Zusammenführung, Öffnung ist aus brandschutztechnischen und denkmalschützerischen Gründen ein Tabu, ebenso die Gestaltung und Nutzung der Gänge. Ein lebendiges Lernen mit offenen Türen, räumlichen Lerneinheiten, Rückzugsmöglichkeiten und Präsentationsflächen ist nicht möglich. Die Klassenräume aneinandergereiht und von einem langen Gang abgehend, erinnern an die Aufteilung in Anstalten, die einen hohen Kontrollbedarf haben und einen hoch disziplinierten Tagesablauf anstreben. Eine bauliche Umgestaltung ist nur sehr begrenzt möglich. Eine räumliche Barrierefreiheit herzustellen bedeutet große finanzielle Investitionen mit eher eingeschränktem Erfolg.

Schulgebäude, die nach dem 2. Weltkrieg entstanden sind, haben diese Tradition schon vielfach aufgebrochen, weisen Gebäudeeinheiten mit gegenüberliegenden Klassenräumen auf, große gestaltete Schulhöfe und Fachräume bzw. Räume, die sich z.B. für eine Schülerbücherei eignen. Leider ist hier die Bausubstanz oft so angegriffen, dass es sich nur noch lohnt, das Gebäude abzureißen und neu zu bauen.

Eine große Chance liegt in dieser Notwendigkeit, Schulgebäude neu zu bauen bzw. eine Grundsanierung vorzunehmen. Hier können bauliche und räumliche Gestaltungen vorgenommen werden, die den heutigen schulischen Erfordernissen entsprechen.

Das Schulleben heute besteht aus höchst unterschiedlichen Phasen, die entsprechende Erfordernisse an die räumliche Gestaltung stellen. Die ganztägig arbeitende Schule löst zunehmend die Halbtagsschule ab und ist Lebensraum für Kinder und Jugendliche, Lehrkräfte, pädagogisches Personal, Sekretär/innen, Schulhausverwalter/innen, Kooperationspartner, Eltern und Schulleitungsteams.

Schaut man sich die Phasen eines Schultages an, so entwickelt sich aus jeder ein besonderer räumlicher Gestaltungsbedarf – hier beispielhaft mit Blick auf die Kinder und Jugendlichen:

  • Lernen: Klassenunterricht/Fachunterricht, Förderunterricht, Bibliothek, Sporthalle, EDV-Raum, Veranstaltungen, Schulgarten, außerschulische Lernorte
  • Kommunizieren, Spielen, Freundschaften pflegen: Rückzugsbereiche, Spielräume, Treffpunkte, Anlaufstellen
  • Ruhe und Entspannung: Ruhezonen, reizarme Räume
  • Bewegung, Toben, Entdecken und Erleben: große Flächen (Schulhof), Bewegungsangebote (Geräte, Material), Erkundungsorte (auch außerschulisch)
  • Essen (Frühstück, Mittagessen, Nachmittagssnack): Speiseräume
  • Besondere Maßnahmen: Therapieräume, Räume für Pflege
  • Organisation: Bring- und Holbereiche, An- und Abmeldebereiche, Spinte

Nicht zu vergessen sind Verwaltungs- und Arbeitsbereiche, Team- und Besprechungsräume, Räume zur kollegialen Nutzung u.v.m. für die Gruppen der Erwachsenen.

Die Gestaltung dieser Räumlichkeiten sollte sich nach den Bedürfnissen der sehr unterschiedlichen Menschen, die an dem ganztägigen Schulleben teilnehmen, orientieren. Denn der „dritte Pädagoge Raum“ ist mit ausschlaggebend für die Qualität von Schule. Nicht nur die Leistung der Kinder und Jugendlichen hängt von einem vielfältigen und bedarfsorientierten Raumangebot ab, sondern auch das Wohlbefinden, die Gesundheit und Belastbarkeit aller schulischen Akteure sind ein Indikator für eine gute Schule für alle.

Insbesondere die Entwicklung der ganztägig arbeitenden Schule erfordert noch einmal mehr das Überdenken und Überarbeiten der aktuellen Schulgebäudesituation. Hier heißt es gemeinsam ein Raumkonzept entwickeln, dass den Anforderungen für eine inklusive Ganztagsschule gerecht wird. Gute Beispiele hierfür gibt es – das Rad muss nicht neu erfunden werden.

Es gilt die Barriere in den Köpfen abzubauen, um die Barrieren im alltäglichen Leben verschwinden zu lassen.

(Schulleiterin aus Hessen und Engagierte für eine „Schule für alle“)

Schreibe einen Kommentar